Wissen bewährt sich praktisch und baut sich in der Zeit auf, man kann sich dies als Kondensierungspraktiken vorstellen. Damit aber gerät die Idee der Aufklärung ins Wanken, Sätze seien Wissenssätze aufgrund von gültigen objektiven Sachkriterien. Statt uns Wahrheiten über die Welt mitzuteilen, erscheint das Wissen als ein in sich geschlossenes Abbild der Welt insgesamt – und diese Abbilder können weit auseinander liegen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass sich Expertenaussagen immer wieder radikal widersprechen. Die Analyse der Praktiken des Wissens lehrt uns, dass Wissen die Form ist, mit der wir gemeinsam einen unmittelbaren Zugang zur Welt simulieren. Diese Formen können wir genauso wenig ad hoc verlassen, wie wir an unserem Auge vorbeisehen oder an unserem Tastsinn vorbeitasten können.

Daher wird Wissen heute zum Problem: Was zu gut gewusst wird, kann uns daran hindern, rechtzeitig die richtige Lösung zu finden. Es ist notwendig, genauer hin zu sehen, welche praktischen Formen es eigentlich sind, die unseren Blick durch das Wissen verstellen, und wie man sie umgehen kann. Darum bedeutet Aufklärung heute nicht mehr, das Meinen, sondern eher, das Wissen destruieren zu können. 1

Wir wissen ziemlich genau, dass paradoxerweise jegliche Form von Wissen unseren Horizont einschränkt. Alles, was wir in der Welt sehen, konfrontieren wir ja mit unseren Erwartungen, unserem Wissen, der Struktur, die wir im Kopf bzw. in den sozialen Erwartungen haben. Je genauer wir etwas wissen, umso weniger sind wir offen, Umweltreize anders wahrzunehmen, als wir das immer schon in Routinen getan haben. Das Wissen schränkt den Blick auf die Welt ein, und deshalb schadet zu viel Wissen womöglich. 2

1. Armin Nassehi, Was wissen wir über das Wissen, Henn Akademie, 22. April 2010 in http://www.henn.com/de/node/505; 21.4.2017

2. Armin Nassehi, Wissen schränkt unseren Horizont ein, in Tageszeitung Der Standard, 5. April 2014, S. 26