Ausstellungsansicht / Installation View
Kulturplattform Grünspan
Villach-Feffernitz, Kärnten, 2022
Das Etwas und das Nichts –
Weißes Loch und Schwarze Löcher

Oliver Nutz, Tom Streit und Stefan Tiefengraber
Copyright Fotos: Herwig Steiner (HST)

Die Realität braucht eine Fiktion
zu ihrer Ergänzung.

Etwas muss sich ändern – kaum jemand auf dieser Welt der ersten Hälfte des Jahres 2022, der das nicht mehr oder weniger bejahte. Was aber soll das sein? Dieses Etwas?

Es hat sich etwas geändert – in der Kunst, im Verlauf des 20igsten Jahrhunderts schon, die Bilder der Illusion wurden mit schwarzer Farbe zu-gemalt, die Fenster in den Raum der Utopien oder Dystopien zugestoßen, etwas Neues musste beginnen. Kunst als Auftraggeberin und Auftragnehmerin in einem, dritte – nicht jedoch zweite – ausgeschlossen, denn die Rolle der Betrachter:in ist nun kein Nebenschauplatz mehr, wo das Bild im Auge der Betrachter:in entsteht wie die Note im Ohr zu Musik wird.

Farbe oder besser Pigment und Bindemittel, zudem Farbträger wie die Leinwand sind die elementarsten Ausdrucksmittel der bildenden Kunst, Oliver Nutz und Tom Streit kommen damit voll und ganz aus, Stefan Tiefengraber braucht nicht einmal sie, er arbeitet mit an und für sich
unsichtbaren physikalischen Größen … Arbeiten mit dem Nichts?

„Wo nichts steht, sollten Sie lesen, dass ich Sie liebe“ titelt der Philosoph Slavoj Žižek zu Kapitel 2 seines über tausend Seiten umfassenden Buchs Weniger als nichts aus dem Jahr 2012. Der Satz stammt ursprünglich aus Rousseaus Briefen zweier Liebender und ist ebenso schön wie richtig, wie Žižek auf langen Mäandern durch sein Buch immer wieder ausführt. Denn: „Bewegung jedenfalls ist ein Streben nach der Leere, das heißt: „Die Dinge bewegen sich, es gibt etwas und nicht nichts, nicht, weil die Realität mehr wäre als das bloße Nichts, sondern weil sie weniger ist als nichts. Die Realität braucht eine Fiktion zu ihrer Ergänzung. “

Solange wir leben strebt es in uns … Susanne Wenger, Künstlerin des 20igsten Jahrhunderts, die in Nigeria und der Religion der Yoruba ihre Spuren hinterließ, hat es als den Willen zum Sinn ausgedrückt: Im Leben hält uns nichts sosehr aufrecht als der Wille zum Sinn – der eine Bewegung antreibt.

Dort, wo das Heimische unheimlich wird, dort passiert ... die Initiation in die eigene Fußspur, so ähnlich las ich bei Rüdiger Safranski, wenn er über Friedrich Nietzsche schreibt. Die noch nicht gesetzte Fußspur, durch den Willen zum Sinn gesucht und jeden Tag aufs Neue erfunden – wodurch dann erst Realität entsteht – und in den besten Augenblicken das Gefühl, im Einklang zu stehen mit sich und der Welt. „Es gibt etwas und nicht nichts (...) Die Realität braucht eine Fiktion zu ihrer Ergänzung.“

Nehmen wir als ultimative Spurensetzer der Menschheitsgeschichte – die typischen Vertreter der Wissenschaft – erst zu Beginn der Neuzeit: „Und sie bewegt sich doch!“ soll Galileo Galilei zu sich selbst gesagt haben, um seinem Todesurteil zu entgehen, wegen seiner blasphemischen Erkenntnis, dass die Erde sich bewegt.

Der Galilei des beginnenden 20igsten Jahrhunderts: Albert Einstein. Und sie bewegen sich doch – Raum und Zeit sind keine konstanten Größen. Sie unterliegen der Bewegung im Sinne von Dehnung und Stauchung.Nicht nur der Mensch, der in die Welt geworfene, der mit nichts als seinem persönlichen Entwurf antworten kann, sondern auch Raum und Zeit (und im Sinne der Schwarzen Löcher auch die Galaxien, Anmerkung) welten, wie der Philosoph Heidegger in seinem Werk Sein und Zeit zu Beginn des 20igsten Jahrhunderts so treffend (und mit einem neuen Verbum für den Zustand von Welt) schrieb.

Das hieße, dass es diese fixen Größen der Ideen – Plantons Ideen als das Sein hinter dem Schein, die für uns Menschen wegen unseres beschränkten Wahrnehmungsvermögens immerzu im Verborgenen bleiben – dass es diese metaphysischen Fixpunkte so nicht gibt.

Der Riss ist dem Sein immanent. Wie die Leere. Die noch nicht gegangene Fußspur, die der Fiktion bedarf oder des Willens zum Sinn oder zur Liebe, die überbrückt, was uns abtrennt – nicht nur von der Welt, sondern auch von einem Himmel. Denn – wie Renata Schmidtkunz schreibt – „Ohne Himmel ist die Welt ...“ und sie zitiert den Philosophen Peter Sloterdijk: „... nur Welt: Sonst nichts.“

Oliver Nutz kreiert kontemplative Räume. Kontemplation bedeutet das Zusammenspiel von zwei Räumen oder Tempel – einem Beobachtungsraum der Sinne und des Geistes, der sich für uns Betrachter:innen aus jedem Blickpunkt in ungeahnt neuer Perspektive öffnet. Und jenem sublimen Ort, an dem man sich einen Augenblick lang im Einklang fühlt mit sich und der Welt, weil die Leere plötzlich weg ist.

Margot Fassler

Literaturhinweise:

1 Weniger Weniger als nichts: Hegel und der
Schatten des dialektischen Materialismus,
Slavoj Žižek; Verlag Suhrkamp, 2014. Seite 15

2 Nietzsche, Biographie seines Denkens,
Rüdiger Safranski;
Fischer Taschenbuchverlag 2008

3 Weniger Weniger als nichts: Hegel und der
Schatten des dialektischen Materialismus,
Slavoj Žižek; Verlag Suhrkamp, 2014

4 Himmlisch frei – Warum wir wieder
mehr Transzendenz brauchen,
Renata Schmidtkunz; Verlag: edition a, 2019

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